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Kitzrettung

„Kitzrettungsaktion mit Schulen“

Die Tierschutzinitiative Odenwald (TSI) beschließt im Jahr 2000, angesichts von 400.000 getöteten Rehkitzen pro Jahr beim Abmähen der Wiesen, es nicht mehr nur bei mahnenden Aufrufen an die Landwirte und Jäger zu belassen. Sie konfrontiert sich vor Ort mit der Problematik, indem sie Jäger beim Absuchen der Wiesen begleitet. Im Jahr 2001 gründeten wir die „Aktion Kitzrettung mit Schulen“, für die wir 2003 den Tierschutzpreis des Landes Hessen erhielten. Da uns schnell klar wurde, dass sich das Kitzsterben auf den großen Wiesen nur durch zusätzlichen Einsatz von Technik eindämmen lässt, setzten wir uns parallel dazu für die Weiterentwicklung des Wildretters des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein. Im April 2008 startete ein entsprechendes, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Forschungsprojekt.

Problematik:
Es fehlen vor allem Personen, die beim Absuchen der Wiesen helfen können. Landwirte müssen wegen des Wetters kurzfristig entscheiden, wann sie mähen. Dazu haben aber viele Menschen keine Zeit. Die Kitze sind in der dichten, hohen Wiese versteckt und mit dem Auge leicht zu übersehen. Daher ist es gut, viele Menschen gleichzeitig für das Absuchen zu haben.
Problemlösung:
1) Die TSI spricht Schulen an und bittet um Mithilfe beim Absuchen der Wiesen. Wichtig ist der TSI auch dabei, dass die Jugend an die Wildtiere in ihrer unmittelbaren Umgebung herangeführt wird.
2) Da viele Wiesen zu groß sind, um sie zu Fuß abzusuchen, setzte sich die TSI mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Verbindung, die an geeigneten technischen Wildrettern forschen.
Erfolge:
In den folgenden Jahren
1) nehmen im Odenwald und in der Rheinebene zahlreiche Schulen an der Kitzrettung teil und viele Kinder sehen zum ersten Mal ein Kitz
2) Bürgermeister von Odenwaldgemeinden übernehmen die Schirmherrschaft über die Aktion
3) die TSI sammelt rund 2000 Unterschriften für Forschungsgelder für das vom DLR entwickelten Gerät, das an einen Traktor montiert werden soll.
4) Presse und Fernsehen unterstützten die Aktionen und machen das massenhafte Kitzsterben in der ganzen Bundesrepublik bekannt.
5) 2006 werden Forschungsgelder aus dem Rahmenprogramm „Mikrosysteme“ bewilligt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Empfänger ist das DLR und angeschlossene Firmen.
6) Die TSI bekommt das Tragegerät „Wildretter“ mit Infrarot von der ISA- Industrieelektronik geschenkt, das mit dem DLR zusammen entwickelt wurd.

 

Zwei Jungen haben ein Kitz gefunden und sichern es zusammen mit der Organisatorin der “Kitzrettung mit Schulen”. Ursula Rühenbeck mit einer Obstkiste, damit es nicht wieder in die Wiese läuft.

 

In einer geordneten Reihe suchen die Schüler die Wiese ab.

 

Im tiefen Gras versteckt haben Schüler ein Kitz gefunden. Nun müssen sie ganz still sein, damit es nicht wegspringt, wenn es schon größer ist. Die ganz Kleinen bleiben liegen

 

Das hohe, dichte Gras macht es schwer, Kitze zu finden. Das Kitz liegt im tiefen Gras versteckt in seinem Nest

 

Mit einem Grasbüschel wurde das Kitz aus der Wiese gehoben, damit kein menschlicher Geruch an das Fell kommt und die Rehmutter das Kitz dann nicht mehr annimmt.

 

Das Kitz wurde zum Wiesenrand gebracht und wird gut verwahrt in einem Obstkorb, während die Wiese gemäht wird.

 

Die Wiese ist gemäht, das kleine Kitz springt in die Freiheit und flüchtet vor den großen Menschen.

 

Technik bei der Kitzrettung

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatte zunächst ein Tragegerät mit Infrarotsensoren entwickelt.
Schon schnell zeigte sich, dass es nicht nur Kitze, sondern auch, als Fehlalarm, erwärmte Maulwurfshügel und großblättrige Pflanzen in der Wiese meldete. Das kostete Zeit und die fehlt vor allem bei der Kitzrettung.
Daher forschte das DLR an einem Gerät, das am Traktor montiert werden sollte . Es sollte Kitze, Hasen und Jungvögel durch Infrarotsensoren (Wärme des Körpers) und durch Mikrowellen, die den Wassergehalt des Objekts misst, denn Körper bestehen zu 90 Prozent aus Wasser, melden. Damit wollte man also durch den alleinigen Einsatz von Infrarot Fehlalarme vermeiden. In einem Display sollte per Video zusätzlich der Ort des Tieres angezeigt werden.
Inzwischen stellt das DLR den „Oktokopter“ vor. Es ist eine Drohne, die mit Wärmebildkamera ausgerüstet ist. Sie ist mit einer ausreichenden Bildauflösung ausgestattet, sodass die Kitze erkennbar sind. Wo die Kitze liegen, wird auf einem Display angezeigt. Mit JPS kann man die Kitze dann finden. Alle Systeme, die mit Infrarot arbeiten, funktionieren ohne Fehlalarm nur in den frühen Morgenstunden, wenn es noch kühl ist. Das Gerät muss also auch eine Funktion haben, die den Fundort der Kitze aufzeigt und dokumentiert. Dann kann man nach dieser Dokumentation auch am Mittag oder Nachmittag, wenn es warm ist, nach den Kitzen suchen.
Nach unserer Einschätzung braucht man immer Hilfspersonen, die die Kitze aufsuchen, sichern und dann wieder freilassen.
Bei aller Technik ist auch eines wichtig: Dass die Landwirte, die Jäger früh genug und zuverlässig darüber informieren, wann sie mähen!
Weitere Information unter: DLR Wildretter

 

Urteile zum „Ausmähen“ von Kitzen und Gesetze

Landwirte müssen verstärkt mit Verurteilungen rechnen, wenn sie vor dem Mähen nicht für das Absuchen der Wiesen sorgen und Kitze deswegen getötet werden. Rechtliche Grundlagen sind die beiden folgenden Gesetze:
Tierschutzgesetz § 17 Abs.1: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.“
Grundgesetz, Artikel 20a: „Der Staat schütz auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Urteile:

  • 2001 – das Landgericht Pirmasens verurteilte einen Landwirt, der fünf Kitze tot gemäht hatte, zu einer Geldstrafe von 3600 DM.
  • 2004 – verurteilte das Amtsgericht Nidda einen Landwirt zu einer Geldstrafe von 900 Euro, weil er ohne irgendwelche Vorsorgemaßnahmen drei Kitze „ausmähte“. Obwohl der Jagdpächter Anzeige erstattete, mähte dieser Landwirt einige Tage später, wiederum ohne vorheriges Absuchen der Wiese und tötete ein weiteres Kitz.
  • Ebenfalls 2004 verurteilte das Amtsgericht Hadamar zwei Landwirte zu 3200 Euro und zu 2400 Euro Geldstrafe. Sie hatten sich nicht an die Vereinbarungen mit dem Jagdpächter gehalten und zu einem früheren Zeitpunkt mit dem Mähen begonnen. Dabei kamen insgesamt 8 Kitze zu Tode.
  • 2011 verurteilte das Amtsgericht Hanau einen Mähmaschinenfahrer, der im Auftrag seines Schwiegervaters die Wiese gemäht hatte, zu einer Geldbuße von 1000 Euro. Dieser hatte zwei Rehkitze so schwer verletzt, dass eines kurz darauf starb und ein zweites vom Jagdpächter von seinen Leiden erlöst werden musste. Eine Spaziergängerin fand die Kitze und informierte den Jagdpächter. Als dieser noch mit den Kitzen beschäftigt war, mähte der Mann schon wieder eine andere Wiese. Die Zeugin wandte sich mehrmals an die Tierschutzinitiative Odenwald. Der Fall sorgte insgesamt für großes Aufsehen. Presse, Funk und Fernsehen berichteten. Eine Abordnung unseres Vereins war bei der Gerichtsverhandlung.

Tipps für eine Organisation der „Kitzrettung mit Schulen“

Voraussetzung und Grundsätzliches:
Nach § 2 des Bundesjagdschutzgesetzes sind die Jäger „ausschließlich“ zuständig für das Wild. Unternehmen Sie daher nichts ohne sie. Fragen Sie, ob sie bei einer Kitzrettung dabei sein dürfen, um Erfahrungen zu sammeln. Es gibt Jäger, die das schon viele Jahre tun, aber immer zu wenig Helfer haben.
Der Landwirt, dem die Wiese gehört, ist ihr weiterer Ansprechpartner. Fragen Sie ihn, ob Schulkinder den Jägern helfen dürfen.
Wenn Jäger und Landwirt zustimmen, wenden Sie sich an eine örtliche Schule und übergeben Sie dem Schulleiter eine klar formulierte Vorstellung von der Aktion „Kitzrettung mit Schülern“ und bitten Sie darum, dass eine Klasse dieser Schule bei der Aktion mitmachen kann.

So kann Kitzrettung mit einer Schulklasse gut gelingen

a) Wenden Sie sich an eine Haupt- oder Realschule oder an ein Gymnasium, da die Schüler mindestens 12 Jahre alt sein sollten, um groß genug zu sein, denn das Gras kann sehr hoch sein.
b) Schulkinder sind generell bei Schulaktionen versichert.
c) Alle Beteiligten vor der Aktion zu einem Treffen bewegen, damit klare Absprachen getroffen werden und Telefon-Nr. ausgetauscht werden können.
d) Es muss geklärt werden, wie die Kinder zu der Wiese kommen (Autos).
e) Kopfbedeckung, lange Hosen, festes Schuhwerk, Sonnenschutzmilch und Mückenspray sind unverzichtbar.
f) Kinder mit Heuschnupfen können nicht mitkommen!
g) Lange Stecken besorgen, mit denen das dichte Gras vorsichtig beim Gehen zerteilt werden kann, damit man besser auf den Boden schauen kann
h) Die Suchenden müssen in einer geraden Linie an der Wiese aufgestellt werden mit einem Abstand von rund einem Meter voneinander und dann von einer Seite zur anderen Seite der Wiese gehen.
i) Sehr große Gruppen können keine grade Linie halten, die sehr wichtig ist, um ein Kitz nicht zu übersehen. Bilden sie daher mehrere kleine Gruppen mit je einem Erwachsenen an beiden Enden (Eltern, Bekannte oder Jagdhelfer), die darauf achten, dass die Linie gehalten wird.
j) Finden die Kinder ein Kitz, dürfen sie nicht schreien oder rufen, sonst springt es vielleicht auf und läuft weg.
k) Sie müssen sich rund um das Kitz aufstellen und mit den Armen darauf hinweisen, damit ein Erwachsener auf der Wiese weiß, dass ein Kitz gefunden wurde.
l) Das Kitz darf nicht mit bloßen Händen angefasst werden, da die Mutter es wegen des menschlichen Geruchs sonst nicht mehr annimmt!!
m) Der Jäger reißt nun einen großen Büschel Gras aus oder hat spezielle Handschuhe und hebt das Kitz aus seinem Versteck. Es wird dann zum Wiesenrand gebracht, wo es in einem Korb oder unter einer starken Obstkiste gesichert wird, damit es nicht wieder in die Wiese läuft.
n) Wenn gemäht worden ist, kehrt man zur Wiese zurück und lässt es wieder frei (mit Grasbüschel anfassen!). Die Rehmutter ist ohnehin in der Nähe und findet es.
o) Sorgen Sie für Getränke
p) Sprechen Sie mit der örtlichen Presse und bitten um einen Bericht über die Aktion. Machen Sie selbst Fotos, weil die Presse oft keine Zeit hat, zu einem solch langen Termin zu kommen.

 

2003 Tierschutzpreis des Landes Hessen

Die Tierschutzinitiative Odenwald e.V. (TSI) war 2003 eine der beiden Preisträger des Tierschutzpreises des Landes Hessen. Gewürdigt wird ihr „vorbildliches Engagement“ für die Kitzrettung in Zusammenarbeit mit Jägern, Landwirten und Schulen und die Zielsetzung, nach industriereifen Wildretter-Geräten zu suchen. Wichtig ist es der TSI vor allem, das jährliche Kitzsterben bei der Mahd durch ihre Aktion bekannt zu machen und die Jugend in die Zusammenhänge von Natur und Landwirtschaft in ihrer unmittelbaren Umgebung einzuführen.
Der hessische Tierschutzpreis ist mit insgesamt 2.600 Euro dotiert und wird für besondere ehrenamtliche Leistung im Tierschutz verliehen. Zur Jury gehörten die Landestierschutzbeauftragten Dr. Madeleine Martin und der Leiter des Ministerbüros des Hessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Michael Rolland. Der Preis wurde von Minister Wilhelm Dietzel am 8. Dezember 2003 im Briebricher Schloss in Wiesbaden übergeben.
TSI-Mitglied Ursula Rühenbeck, die die Aktion „Kitzrettung mit Schulen“ ins Leben rief und seither betreut, sagte damals: „Von Flensburg bis Passau kommen jetzt schon die Anfragen von Personen, die eine gleiche Aktion aufbauen wollen. Wir sind für diesen Preis auch deshalb so besonders dankbar, weil er die Akzeptanz der Kitzrettung in der Öffentlichkeit stärkt. Genauso wichtig ist es, dass damit der Gedanke der Zusammenarbeit vieler verschiedener Gruppen gewürdigt wird und die Kinder als Träger unserer Zukunft in den Mittelpunkt gestellt werden. Sie lernen dabei, nicht wegzuschauen, wenn einem Lebewesen Leid geschieht.“
Seither hat dieser Preis der TSI immer wieder Türen geöffnet zu Gesprächen mit Politikern und Wissenschaftlern.

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